Wenn der Sommer zur Neige geht und sich der Herbst ankündigt, dann steht auch bald das Erntedankfest im Kalender. Eines von vielen Dankbarkeitsritualen, die (früher) fest in das Leben und den Alltag von uns Menschen in der westlichen Welt verankert waren. Jede*r kennt sicher auch das Dankbarkeitsritual des Tischgebets, in dem sich für das Essen bedankt wird. Doch ich würde mal wetten, dass die meisten es nur namentlich kennen, es sicher schon häufiger in Filmen, die in der Vergangenheit spielen, gesehen haben. Doch wer praktiziert dieses Ritual heute wirklich noch?
Persönlich wurde ich 2018 bei einer 14-tägigen Mindfulness Auszeit dazu angeregt, bei jeder Mahlzeit für mich zu reflektieren und zu spüren, wem ich für das Essen, dass gerade vor mir stand dankbar war. Das waren die Menschen, die das Essen zubereitet hatten, die Menschen, die die Pflanzen angebaut, gepflegt und geerntet hatten und die Menschen, die die Lebensmittel im Supermarkt zum Verkauf angeboten hatten. Und es war für mich nicht nur eine rein kognitive Erfahrung, sondern ich habe die Dankbarkeit wirklich körperlich gespürt. Im Bauch, im Brustkorb, im Gesicht. Und es hat mir nochmal vor Augen geführt, wie vernetzt und verbunden mein Leben mit dem Leben und Wirken vieler anderer Menschen ist und wie abhängig ich auch von ihrer Arbeit bin. Und sie von meiner. Eine Erfahrung, die in unserer immer globaler und für uns Menschen schwer erfassbarer Welt immer wichtiger wird.
Einen zweiten sehr starken Impuls habe ich über die Forschungsergebnisse des ReSource Projekt der Max-Planck-Gesellschaft mit der wunderbaren Studienleiterin und Empathieforscherin Prof. Dr. Tania Singer bekommen. Und ich bin sehr dankbar, beim CovSocial Folgeprojekt als Achtsamkeitstrainer dabei zu sein. Bei einer der ReSource Achtsamkeitsübungen stellen sich zwei Personen täglich u.a. die Frage, in welcher Situation die/der Sprecher*in Dankbarkeit empfunden hat und wie sich dies im Körper angefühlt hat. Die/der Sprecher*in hat eine fest vorgegebene Zeit, um auf die Frage zu antworten, in der sie/er nicht unterbrochen wird. Weder durch Verständnisfragen noch durch Ratschläge, Tipps oder ähnliches. Eine sehr kraftvolle Intervention, um Dankbarkeit persönlich immer tiefer zu verankern.
Doch wozu ist das Erkennen und Spüren von Dankbarkeit gut? Vor allem für Organisationen?
Dafür muss man einen Blick auf unsere menschlichen Motivationssysteme werfen. Hier kann zwischen drei Arten von Motivationssystemen unterschieden werden. Zum einen die Motivationssysteme mit Belohnungs-Fokus, die Motivationssysteme mit Bedrohungsfokus und last but not least die Motivationssysteme mit sozialem Fokus.
An der Stelle ist ganz wichtig hervorzuheben, dass kein Motivationssystem besser oder schlechter ist als eines der anderen Motivationssysteme. Nur das Zusammenspiel dieser Motivationssysteme hat dazu geführt, dass wir als Spezies Homo Sapiens überlebt haben. Kurz: Auf die richtige Balance kommt es an!
Jetzt ist es aber so, dass in unserer westlichen Welt die Motivationssysteme mit Belohnungs- und Bedrohungsfokus häufig überbetont sind. Am deutlichsten wird dies, wenn man sich anschaut, wie viele Menschen über Stress, Zeit- und Leistungsdruck klagen. Bezogen auf das Thema Konsum liegt es wahrscheinlich auch einfach daran, dass es uns als Menschen in der westlichen Welt materiell so gut geht, wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Hinzu kommt, dass die Mechanismen der meisten Mobiltelefon Social Media Apps darauf ausgelegt sind, permanent über Freundschaftsanfragen, Likes und ähnliches permanent unser Belohnungssystem zu triggern.
Und was hat das jetzt mit Dankbarkeit zu tun?
Durch die Praxis der Dankbarkeit wird unser Fürsorge System aktiviert. Und das führt zur Ausschüttung von Oxytocin. Oxytocin ist ein Hormon und Neurotransmitter, der bei frisch gebackenen Müttern ausgeschüttet wird und dazu führt, dass sich die Mutter fürsorglich und liebevoll um ihr Baby kümmert.
Da der Titel des Blogartikels „Dankbarkeit in Organisationen“ und nicht „Der Weg zur glücklichen Mutter“ lautet, werden sich einige jetzt sicher fragen, welche Relevanz Dankbarkeit, Fürsorgemotivation und Oxytocin jetzt für Führungskräfte und Teams haben?!
Für die Erklärung braucht es einen kleinen Schwenker zum Bedrohungs-fokussierten Motivationssystem. Bedrohungen können eine schlecht gelaunte Führungskraft, ein Vortrag vor vielen Kolleg*innen, eine eMail mit einem irritierenden Betreff von meinem Project Sponsor und noch vieles mehr sein. Und schon empfinden wir Ärger, Angst, Stress oder auch schwächere oder stärkere Formen dieser Emotionen. Und dann schüttet unser Körper Cortisol aus. Cortisol wird auch als Stresshormon bezeichnet, wirkt anregend und macht uns wach und leistungsfähig.
Problematisch wird Cortisol dann, wenn wir unter chronischem Stress leiden und damit verbunden permanent einen hohem Cortisol-Level im Körper haben. Denn ein dauerhaft hoher Cortisol-Level ist schlecht für unsere Gesundheit. Und außerdem kann uns ein Übermaß an Stress natürlich raus aus der Leistungsfähigkeit bringen und dazu führen, dass wir wegen Kleinigkeiten (über-)reagieren oder unsere Wahrnehmung eingeengt wird und wir den sprichwörtlichen Tunnelblick kriegen. Dann hat unser Bedrohung-fokussiertes Motivationssystem die Oberhand und wir sind raus aus der Balance.
Und hier kommen jetzt Dankbarkeit und Oxytocin in Spiel. Oxytocin reguliert den Blutdruck und den Cortisol-Level und hilft uns auf diese Weise dabei, Stress sowie die Folgen von Stress zu reduzieren und uns entspannter zu fühlen.
Sprich wenn Menschen in Organisationen dauerhaft über Stress und andere Symptome der bedrohungs-fokussierten Motivationssysteme klagen, ist es hilfreich, darüber nachzudenken, wie man mehr Dankbarkeit in die Organisation bringen kann.
Wichtig ist an der Stelle zu erwähnen, dass Dankbar-SEIN glücklich macht bzw. Oxytocin erzeugt und Stress reduziert. NICHT Dank oder Wertschätzung bekommen. Und Dankbar-sein bedeutet auch, die Dankbarkeit wirklich körperlich zu spüren. Rein kognitives Dankbar-sein ohne es auch wirklich zu spüren, hat nicht den Effekt. Außerdem ist die Fähigkeit „Dankbar-zu-sein“ trainierbar wie ein Muskel.
Dank-zu-bekommen auf der anderen Seite zahlt auf unser Belohnungs-fokussierte Motivationssystem ein, löst einen kurzen Dopamin-Kick aus und dann brauchen wir den nächsten Dank. Kurz: Dank-zu-bekommen ist natürlich sehr schön und auch motivierend, doch Dankbar-zu-sein reduziert auch noch Stress. Und außerdem hat jeder Mensch viel mehr Einfluss darauf Dankbarkeit zu empfinden als Dank von jemandem andere zu empfangen.
Die meisten Artikel zu „Dankbarkeit in Organisationen“ im Internet beschäftigen sich primär damit, wie wichtig es als Führungskraft ist, den Mitarbeitenden Dankbarkeit entgegenzubringen und sie damit zu motivieren. Der Aspekt der selber empfundenen Dankbarkeit wird eher nachrangig behandelt (siehe Artikelliste).
Ich bin sehr gespannt, wie Du die Dankbarkeitspraxis in Eurer Organisation erlebst, welche Dankbarkeitsrituale Du für Dich bei der Arbeit etabliert hast oder welche weiteren Dankbarkeitsrituale Du in Deiner Organisation gerne fest verankern möchtet.
Ich freue mich, wenn Du Lust hast, in einen Austausch zu dem Thema einzusteigen, was Du machst, um Deinen Dankbarkeitsmuskel zu trainieren!
- Vielleicht 1x die Woche Deinem Team oder Deiner/-m Chef*in sagen, wofür Du von Herzen dankbar bist?
- In der Kantine zusammen mit Deinen Kolleg*innen kontemplieren, wofür Ihr bei dem Essen, was vor Euch steht, dankbar seid?
- Vielleicht dem Reinigungsteam danken, dass sie Deinen Arbeitsplatz so schön sauber machen?
- …
Impuls für die Suche nach Dankbarkeitsgelegenheiten: Die Selbstverständlichkeit ist der größte Feind der Dankbarkeit!
PS: Weitere Infos zu Dankbarkeit
Wem die ganze Sache mit Oxytocin, Cortisol und (nur) wegen diesen biologischen Zusammenhängen Dankbarkeit zu trainieren zu technisch ist, den kann ich gut verstehen. Dankbarkeit ist eine wunderschöne und zutiefst menschliche Qualität. Und nicht jede*r braucht die wissenschaftliche Herleitung, um zu verstehen, was sie/er schon immer gespürt und gewusst hat!
Prof. Dr. Tania Singer und ihr Achtsamkeitstraining könnt Ihr bei der ReConnect! Masterclass vom 24.- 27. März 2022 persönlich erleben.
Artikel zu Dankbarkeit in Organisationen im Netz:
„Dankbarkeit stärkt die Motivation der Mitarbeiter“ von Sabina Nawaz, Manager Magazin, Juli 2020
„Warum Dankbarkeit Sie zu einem besseren Chef macht“ von Nicole Basel, Impulse, Dezember 2019
„Warum Dankbarkeit im Job wichtig ist“ von Selina Thaler, Der Standard, Jänner 2021