Hilfe, meine Führungskraft hat Gefühle ☹

Veröffentlicht am: 16. September 2021

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Wer kennt die Situation nicht? Das Team trifft sich zum Jour Fixe, alle sind rechtzeitig da, nur der Chef bzw. die Chefin fehlt noch. Dann kommt die Führungskraft reingerauscht, setzt sich hin und hat offensichtlich schlechte Laune.

Ob es sich dabei um Ärger, Sorge, Schmerz, Irritation, Frust oder irgendetwas anderes handelt, kriegt schon niemand mehr mit, denn alle Teammitglieder sitzen wie gelähmt da und haben nur einen Gedanken im Kopf: „HABE ICH WAS FALSCH GEMACHT?“ oder „BITTE LASS DEN JOUR FIXE HEUTE OHNE ANGRIFFE ABLAUFEN!“.

Und schon flutet ein Schwall von Angst- und Stresshormonen unseren Körper, wir bekommen einen Tunnelblick, unsere Fähigkeit zu kreativem und lösungsorientiertem Denken wird deaktiviert und eh wir uns versehen, finden wir uns in einer der Ur-Handlungen Angriff, Flucht oder Totstellen wieder.

An dem Punkt könnte der Jour Fixe jetzt eigentlich aufgelöst werden, denn mit Produktivität, Excellence und Kooperation ist jetzt nicht mehr zu rechnen.

Okay, die Szene ist sehr stark überzeichnet, doch in abgeschwächter Form hat sie sicher jede*r schon mal erlebt.

Doch warum reagieren wir eigentlich so stark auf die Stimmung unserer Chefin bzw. unseres Chefs?

Den Grund erklärt sehr anschaulich das SCARF Modell des Management Beraters und Direktor des Neuroleadership Instituts Dr. David Rock. Das Modell umfasst die fünf wichtigsten psychologischen Bedürfnisse von uns Menschen. Dabei steht S für Status, C für Certainty, A für Autonomy, R für Relatedness und F für Fairness. Status bedeutet dabei nicht unbedingt großer Firmenwagen, imposanter Job Title oder ähnliches, sondern kann auch dafür stehen, mit der eigenen Kompetenz und deren Bedeutung für die Gruppe gesehen zu werden. Certainty steht für Sicherheit und Vorhersehbarkeit. Relatedness bedeutet Verbundenheit mit oder auch Zugehörigkeit zur Gruppe. Autonomy und Fairness erklären sich von selbst.

Sind alle fünf psychologischen Bedürfnisse erfüllt, fühlen wir uns wohl, so als hätten wir einen kuscheligen Schal (SCARF) umgelegt.  Ist eines der Bedürfnisse nicht erfüllt bzw. verletzt, so fühlen wir unangenehme Emotionen wie Angst, Unruhe, Stress oder vielleicht auch Irritation oder Ärger. Auf jeden Fall nichts Schönes.

Und wer in der Organisation ist mehr dazu geeignet unsere SCARF Bedürfnisse zu erfüllen oder auch zu verletzen als unsere Führungskraft?! Sie hat uns eingestellt, sie gibt uns Feedback zu Leistung und Verhalten, mit ihr sprechen wir über Gehaltssteigerungen, sie ist es, die unseren Urlaub genehmigt und von ihr kriegen wir spannende Aufgaben oder eben auch nicht.

Jetzt geht es unserer Führungskraft gerade emotional nicht so gut. Verschiedene unserer SCARF Bedürfnisse drohen verletzt zu werden und wir spüren mehr oder weniger bewusste und heftige Angst oder auch Stress.

Was kann bzw. muss getan werden, damit sowas nicht passiert und die Teamleistung nicht durch die Emotionen der Führungskraft beeinträchtigt werden?

Eine Möglichkeit ist natürlich, den/die Chef*in auf ein Seminar zu schicken, wo sie lernt, ihre Emotionen besser zu unterdrücken, mindestens aber auf jeden Fall nicht nach außen hin sichtbar werden zu lassen. Denn schließlich haben Emotionen ja bei der Arbeit nichts zu suchen und sind ein klares Zeichen für Unprofessionalität!

Eine andere Möglichkeit ist es, das Team darin zu befähigen, sich ein dickeres Fell zu zulegen, cooler zu werden und so die Emotionen der Führungskraft nicht mehr so an sich ranzulassen.

Mit ein bisschen Nachdenken würden einem sicher schnell noch einige mehr oder weniger hilfreiche Ideen einfallen.

Empfehlen möchte ich hier aber stattdessen ein kleines und vielleicht ungewöhnlich anmutendes Ritual zu Beginn von Besprechungen, Videokonferenzen oder Workshops. Es heißt CHECK-IN und wurde von der Mindful Leadership Beratung Awaris entwickelt.

Wer jetzt gedanklich schon seine Meilenkarte zur Hand hat, den muss ich enttäuschen. Der CHECK-IN hat nichts mit Flughafen, Sitzplatzwahl und „All doors in flight“-Ansagen zu tun.

Beim CHECK-IN berichtet jede*r Meetingteilnehmer*in zu Beginn des Termins zu drei einfachen Fragen:

  1. Körper: Wie geht es mir gerade körperlich (Hunger, Durst, müde, Rückenschmerzen, lebendig und gut durchblutet …)?
  2. Geist: Wo bin ich mit meinen Gedanken gerade und in welchem Zustand ist mein Geist (ruhig, unruhig, sprunghaft, fokussiert …)?
  3. Emotionen: Wie geht es mir gerade emotional (motiviert, freudig, begeistert, ärgerlich, frustriert …)?

Hat sich dieses Ritual erst einmal eingespielt, dann dauert es bei einer Runde von zehn Personen nicht länger als fünf Minuten. Fünf Minuten, die gut investiert sind. Denn

  • das Team wird beim Check-in vielleicht erfahren, dass der/die Chef*in gerade genervt ist wegen eines unprofessionell durchgeführten Vortermins.  Und schon braucht niemand mehr diese Laune auf sich zu beziehen, alle können sich entspannen und produktiv und mit Freude arbeiten.
  • ich habe selber Zeit, mir bewusst zu werden, wie es mir körperlich gerade geht. Ob ich vielleicht auf Toilette muss, was trinken sollte oder mir vornehme, in der nächsten längeren Pause mal eine Runde ums Bürogebäude zu drehen und frische Luft zu schnappen.
  • ich werde mir bewusst, wo ich mit meiner Aufmerksamkeit gerade bin. Durch dieses „Bewusst-werden“ gebe ich  dem Geist die Möglichkeit, im Termin anzukommen. Nicht unwichtig für einen produktiven Termin oder 😊?
  • wir alle im Termin haben die Möglichkeit uns alle als Menschen wahrzunehmen und uns miteinander zu verbinden. Erstens tut uns dies gut und zweitens werden wir mehr auf Kooperation anstatt auf unproduktive Debatten und Machtkämpfe geeicht zu sein.

Und schon kann ein produktives Meeting starten!

Zu Beginn wird sich der CHECK-IN vielleicht kompliziert und sperrig anfühlen. Doch keine Sorge, das ist ganz normal. Alles Neue fühlt sich erst einmal ungewohnt an bis es sich eingespielt hat und uns wie das normalste von der Welt erscheint.

In diesem Sinne viel Freude und Spaß beim Ausprobieren des CHECK-IN!