Haben Emotionen bei der Arbeit wirklich nichts zu suchen?

Veröffentlicht am: 18. März 2021

Bildquelle: Ryan McGuire auf Pixabay

Die Aussage werden viele kennen. Doch was ist an dem Ausspruch dran? Ist es in der Tat erstrebenswert, Emotionen bei der Arbeit außen vor zu lassen? Und ist dies im Sinne produktiven Arbeitens überhaupt zielführend?

In diesem Artikel geht es darum aufzuzeigen,

  • welchen Nutzen Emotionen auch im Geschäftsleben bieten,
  • wessen Emotionen im Beruf eher schwierig sind,
  • was es braucht, um mit Emotionen kompetent umgehen zu können,
  • wieso emotionale Intelligenz gerade für Führungskräfte besonders wichtig ist.

Welchen Nutzen haben Emotionen – auch im Geschäftsleben?

Zuerst einmal ist wichtig zu verstehen, dass Emotionen zum Menschen dazu gehören, wie Wasser zum Meer. Man kann seine Emotionen nicht einfach zu Hause lassen, wie seine Freizeitkleidung. Und warum ist das so? Weil Emotionen in unserem emotionalen Gehirn verankert sind bzw. entstehen.

Die in unterbewussten Regionen unseres Gehirns entstehenden Emotionen helfen uns, in Bruchteilen von Sekunden Entscheidungen zu treffen, für die der bewusst denkende Teil unseres Gehirns – der sogenannte Präfrontale Cortex – signifikant länger braucht. Daher vergleicht Yuvel Harrari in seinem Buch „Homo Deus“ Emotionen eher mit leistungsstarken Algorithmen, die die Entwickler im Silikon Valley übrigens gerade versuchen nach zu programmieren.

Wem es schwerfällt zu glauben, dass Emotionen uns helfen, schneller sinnvolle Entscheidungen zu treffen, der kann mal den Iowa Gambling Task von Neurowissenschaftler Antonio Damasio googeln. Bei dieser Versuchsreihe wiesen die körperlichen Symptome von Angst (z.B. erhöhter Puls und Schweißbildung) fünfmal schneller auf eine nachteilige Option im Versuchsaufbau hin, als sich die entsprechende Erkenntnis im Bewusstsein der Probanden einstellte. Sprich die Emotionen schlugen unser hochgepriesenes bewusstes Gehirn um Faktor 5. Elementare Voraussetzung dafür sind allerdings eine gute Körperwahrnehmung und die Bereitschaft Emotionen zu spüren.

Hier exemplarisch die Funktionen der folgenden drei Emotionen:

Angst/Sorge/Beunruhigung: In der Natur entsteht Angst, wenn der Mensch mit einer Bedrohung konfrontiert wird und er sich auf Angriff, Flucht und Totstellen vorbereitet. Im Geschäftsleben kann aufkommende Angst oder Beunruhigung ein Indikator sein, dass eine bestimmte Handlungsoption als sehr unsicher oder risikoreich wahrgenommen wird und weitere Planung und Risikobewertung erforderlich ist, um den möglichen Schaden für das Unternehmen überschaubar zu halten.

Ärger/Wut/Irritation: Diese Emotionen treten immer dann auf, wenn jemand unsere Grenzen verletzt. So kann z.B. Ärger aufkommen, wenn ein Mitbewerber anfängt unsere Kunden abzuwerben, und dazu führen, dass wir Gegenmaßnahmen im Vertrieb ergreifen.

Freude/Begeisterung: Diese Emotionen zeigen an, dass bestimmte Bedürfnisse, wie z.B. das Bedürfnis nach Wirksamkeit, erfüllt sind. Z.B. ein Ziel konnte erreicht werden oder ein Projekt erfolgreich abgeschlossen werden. Die gefühlte Freude ist wie eine Belohnung und motiviert uns dazu, mehr von dem zu machen, was uns zum Erfolg geführt hat.

Heißt das jetzt also, dass alle Emotionen, die wir haben, auch im beruflichen Kontext hilfreich sind? Nein, das heißt es nicht – viele ja, aber bei weitem nicht alle.

Und wessen Emotionen sind jetzt im Beruf eher schwierig?

Sie werden sich jetzt vielleicht fragen „wieso steht hier WESSEN Emotionen?“. Es geht doch klar um meine sowie um die Emotionen meiner Kolleg*innen im Unternehmen.

Um genauer unterscheiden zu können, welche Emotionen im Berufsleben hilfreich sind und welche nicht, wird hier das Modell der Ich-Zustände aus der Transaktionsanalyse herangezogen. Und daraus erklärt sich auch das WESSEN.

Sie kennen vielleicht die drei Ebenen Ich, Es und Über-Ich von Sigmund Freud. In Anlehnung daran wird in der Transaktionsanalyse unterschieden zwischen Erwachsenen-Ich, Eltern-Ich und Kind-Ich. Dabei wird davon ausgegangen, dass jeder von uns verschiedene Persönlichkeitsanteile in sich trägt. Auch wenn man schon lange erwachsen ist und vielleicht auch gar keine Kinder hat.

Quelle: Eric Berne, Transaktionsanalyse

Wichtig für die Unterscheidung in hilfreiche und problematische Emotionen sind vor allem das Erwachsenen-Ich und das Kind-Ich.

Das Erwachsenen-Ich kann sich gut um sich selber kümmern, übernimmt Verantwortung für sich, seine Gefühle und Handlungen. Das Erwachsenen-Ich nimmt seine Emotionen und die darin enthaltenen Informationen für sein Leben und Handeln wahr, ohne sich von seinen Emotionen wegreißen oder gar fremdsteuern zu lassen. Das Erwachsenen-Ich und seine Emotionen sind im beruflichen Kontext sehr wichtig und hilfreich.

Beim Kind-Ich wird unterschieden zwischen freiem bzw. kreativem Kind-Ich, angepasstem bzw. ängstlichem Kind-Ich und rebellischem oder auch wütendem Kind-Ich.

Das freie und kreative Kind-Ich ist gerade wenn es um kreative Leistungen und Prozesse geht von entscheidender Bedeutung für Organisationen.

Angepasstes und rebellisches Kind-Ich dagegen sind beherrscht von ihren Emotionen, wie Angst oder Wut. Diese Kind-Ich-Zustände haben einen Tunnelblick und sie sehen quasi den Wald vor Bäumen nicht. Außerdem sind ihre aktuellen Emotionen weniger Reaktionen auf aktuelle Situationen oder Erlebnisse, sondern vielmehr eine Erinnerung an frühere schwierige Situationen. D.h. die Emotionen dieser Kind-Ich-Zustände liefern keine wichtigen (Entscheidungs-)Informationen für aktuelle Themen und haben daher für den beruflichen Kontext auch keinen Nutzen.

Nichtsdestotrotz ist es wichtig, die Emotionen und Reaktionen vom angepassten und rebellischen Kind zu erkennen – bei sich und bei anderen. Denn auch wenn diese Emotionen keinen Mehrwert für die aktuelle Situation im Meeting o.ä. stiften, so können sie doch das Zusammenarbeiten stark erschweren und belasten, wenn mit ihnen nicht kompetent umgegangen wird.

Denn wie bereits zu Beginn erwähnt wurde, kann ein Mensch nicht einen Teil seiner Emotionen einfach zu Hause lassen. Bzw. er kann es probieren, doch es wird ihm nur teilweise gelingen. Und wenn sich angepasstes oder rebellisches Kind-Ich dann bei der Arbeit zeigen, ist es besser mit ihnen kompetent umzugehen als sie nicht wahrhaben zu wollen oder zu negieren. Denn dann suchen sie sich einen anderen Weg und tarnen sich mit vermeintlichen Sachargumenten. Das sind dann diese mühevollen Situationen oder Diskussionen, bei denen man den (gerechtfertigten) Eindruck hat, dass es gar nicht um die Sache geht.

Doch auch wenn Menschen im Unternehmen aus dem Eltern-Ich heraus handeln, ist dies eher nachteilig für die Organisation. Denn dies bedeutet, andere Menschen wie Kinder zu behandeln, sie entweder aus dem kritischen Eltern-Ich einzuschüchtern, zu entmutigen mit der Folge, sie zum rebellischen Verhalten zu motivieren. Oder sie aus dem fürsorglichen Eltern-Ich heraus zu bemuttern oder bevatern und ihnen damit Verantwortung abzunehmen, die sie als erwachsene Menschen in der Lage sein müssen selber zu tragen.

Was es braucht, um mit Emotionen kompetent umgehen zu können! Und wie sich dann das (leidige) Motivationsthema in Luft auflöst!

Gerade Führungskräfte haben die Aufgabe, sich um andere Menschen so zu kümmern, dass die gesteckten Ziele erreicht werden. Dabei werden sie mit Gefühlen und Bedürfnissen konfrontiert und sind nicht selten überfordert damit. Dies kommt dann in Aussagen wie „Ich kann doch nicht dafür verantwortlich sein, dass alle glücklich sind?!“ zum Ausdruck.

Doch es kann auch schon sehr herausfordernd sein, mit den eigenen Emotionen umzugehen. Oder auch mit den Emotionen der anderen Mensch im Team.

Und in der Tat sind Führungskräfte nicht dafür verantwortlich, dass jede*r im Team glücklich ist. Für ihr/sein Glück ist jeder erwachsene Mensch selber zuständig. Doch es liegt im Interesse jeder Führungskraft, dass die Mitarbeiter ihr Bestes geben und die Teamziele erreichen. Dafür ist es erforderlich zu wissen, was es braucht, damit Menschen motiviert und engagiert arbeiten. Und Motivation wiederum hängt stark mit Bedürfnissen und Emotionen zusammen.

Um kompetent mit Emotionen umgehen zu können, braucht es folgendes:

Emotionsvokabular sowie die Bereitschaft und Fähigkeit, es einzusetzen

Das mag sich jetzt erst einmal banal anhören. Doch häufig fehlt es schon an den notwendigen Vokabeln, um Themen beschreiben zu können und damit besprechbar zu machen oder auch der fehlenden Praxis beim Einsatz dieser Wörter. Was gerade beim Thema Emotionen im beruflichen Kontext nicht weiter verwunderlich ist, da der Glaubenssatz „Emotionen haben bei der Arbeit nichts zu suchen“ noch sehr weit verbreitet ist. Diesem Glaubenssatz folgend gibt es ja überhaupt keinen Grund Gefühlsvokabeln zu lernen. Geschweige denn, sie einzusetzen. Eine gute Übersicht zu Emotionswörtern je nach Intensität bietet Plutchiks Kegel der Emotionen.

Verständnis zum Zusammenspiel von Bedürfnissen und Emotionen

Dahinter steckt die Erkenntnis, dass erfüllte Bedürfnisse zu positiven Emotionen wie Freude oder Begeisterung führen und nicht erfüllte Bedürfnisse zu negativen Emotionen wie Angst, Wut, Trauer oder Schmerz. Unsere Emotionen sind wie ein Management Cockpit für unsere Bedürfnisse. Und nur wessen Bedürfnisse bei der Arbeit erfüllt werden, der bzw. die geht auch mit Motivation ans Werk.

Bedürfnisvokabular sowie die Bereitschaft und Fähigkeit, es einzusetzen

Hier gilt das Gleiche wie bei Emotionen. Erst wenn ich über ein entsprechendes Vokabular verfüge und auch in der Lage bin es einzusetzen, werden mögliche Konflikte besprechbar. In der Literatur und im Internet findet man die verschiedensten Bedürfnisübersichten. Einen guten Einstieg ins Thema bietet das SCARF Modell von David Rock.

Quelle: David Rock, Brain at Work; Bild von _Alicja_ auf Pixabay

Konstruktiver und lösungsorientierter Austausch zu Emotionen und Bedürfnissen

Ein Ansatz, um Konflikte und die dahinterstehenden Emotionen und Bedürfnisse besprechbar und lösbar zu machen, bietet die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Neben der Benennung von Emotionen und Bedürfnissen spielt die „wertfreie“ Situationsbeschreibung dabei eine zentrale Rolle. Die wertfreie Beschreibung ist sehr wichtig, um keine unnötigen Reaktanzen sprich Blindwiderstände beim Gegenüber auszulösen. Denn Menschen, die im Widerstand sind, können nicht mehr gut zuhören.

Eine gute Körperwahrnehmung

Es kann vorkommen, dass man mit der Frage, welche Emotionen bei einem gerade da seien, überfordert ist. Dann kann das Wahrnehmen der aktuellen Körperempfindungen wie Stein im Magen, Frosch im Hals, Schmetterlinge im Bauch o.ä. helfen, um Klarheit zu schaffen. Trainiert werden kann die Körperwahrnehmung mittels der Achtsamkeitsübung „Bodyscan“. Wer nach MBSR Bodyscan im Internet sucht, findet hier viele Audioanleitungen. MBSR steht für Mindfulness based Stress Reduction.

Fähigkeit zur Emotionsregulation

Jede*r hat die Fähigkeit zur Emotionsregulation. Die eine mehr, der andere weniger. Die Gehirnregion des präfrontalen Cortex (kurz PFC) hat bei der Emotionsregulation eine zentrale Bedeutung. Der präfrontale Cortex sitzt hinter der Stirn. Wenn er nicht gerade Emotionsregulation betreibt, löst er Matheaufgaben, beschäftigt sich mit Planungen oder anderen Aufgaben des logischen Denkens. Er ist der evolutionsgeschichtlich jüngste Teil unseres Gehirns und unterscheidet uns Menschen maßgeblich von anderen Säugetieren. Sofern bei der Emotionsregulation noch Potential wahrgenommen wird, ist er mittels Achtsamkeitsübungen trainierbar. Der PFC hat nur ein kleines Problem: Er ermüdet nach einer gewissen Zeit und dann wird es auch mit der Emotionsregulation schwieriger. Sprich, wenn wir merken, dass unsere Lust oder auch Fähigkeit zu denken gerade nicht sehr groß ist, dann sollten wir in dem Augenblick auch keine Tätigkeiten ausführen, die ein hohes Maß an Emotionsregulation benötigen, wie z.B. ein schwieriges Mitarbeitergespräch zu führen.

Wege zum Umgang mit schwierigen Emotionen

Es kann passieren, dass die Emotionen mal hochkochen und die Emotionsregulation überrennen. Sei es, weil die Intensität der Emotionen die persönliche Regulationsfähigkeit übersteigt oder weil der PFC zu müde zum erfolgreichen Regulieren ist. Dann ist es wichtig, über funktionierende Notfallpläne zu verfügen. Dies können z.B. sein

  • im Geiste von 10 nach 1 rückwärts zählen,
  • die Aufmerksamkeit auf den eigenen Atem zu lenken,
  • das Gespräch vorerst zu beenden und sich vielleicht für eine Weile die Füße zu vertreten oder
  • die Fortsetzung des Gesprächs auf den nächsten Tag zu verlegen.

Wahrscheinlich haben Sie schon Ihre ganz eigenen Strategien entwickelt, um in solchen Situationen nicht emotional angetrieben Dinge zu tun oder Sachen zu sagen, die Sie am nächsten Tag bereuen.

Egal welcher Impuls zum kompetenten Umgang mit Emotionen Sie jetzt angesprochen hat, wichtig ist, dass alles „Neue“ Training braucht. Damit es einem in Fleisch und Blut übergeht und einem dann in Situationen, in denen es hoch hergeht, auch einfach und ohne großes Überlegen zur Verfügung steht. Sprich Übung macht den Meister. Etwas gelesen zu haben, hilft da leider noch nicht viel weiter.

Wieso emotionale Intelligenz gerade für Führungskräfte besonders wichtig ist!

Dass emotionale Intelligenz einem hilft beruflich und privat erfolgreicher zu sein, hat sich bereits allgemein rumgesprochen. Doch warum ist emotionale Intelligenz gerade für Führungskräfte besonders wichtig?

Mitarbeiter*innen orientieren sich bewusst oder unbewusst an ihrer Führungskraft. Diese Aussage wird jedem erst einmal spontan einleuchten. Dies trifft aber auch auf den emotionalen Zustand der Führungskraft zu. Das bedeutet, wenn eine Führungskraft schlecht gelaunt und innerlich unruhig zu ihrem Team kommt, dann wird sich jede*r im Team unbewusst fragen, was er bzw. sie falsch gemacht habe. Dieses sich Hinterfragen kostet Energie. Energie, die dem Team dann für andere Sachen fehlt.

Es kann natürlich auch sein, dass die Stimmung der Führungskraft mit dem Team zu tun hat. Wahrscheinlicher ist aber, dass der Auslöser, woanders zu finden ist: beim Vorgesetzten der Führungskraft, ein schwieriges Meeting, eine private Angelegenheit etc.

Fazit: Top 3 Takeaways

Somit ist es für die Teamproduktivität wichtig und hilfreich, dass die Führungskraft die eigene Stimmungslage bemerkt und die Gründe dafür ihrem Team mitteilt. Falls das Team ursächlich für die Stimmung ist, ist es wichtig zu erfahren, wie es aktiv etwas ändern kann. Falls das Team nicht der Auslöser ist, kann es seine Grübeleien in diese Richtung einstellen und sich wieder voll und ganz auf andere Aufgaben konzentrieren.

  1. Einige Emotionen sind auch bei der Arbeit hilfreich, andere nicht. Doch sie sind alle immer da!
  2. Mit Emotionen kompetent umgehen zu können, steigert Motivation und Produktivität!
  3. Kompetenter Umgang mit Emotionen braucht Vokabular und Training, Training, Training!
Bildquelle: Kevin Petit auf Pixabay