Ich bin in meinen Führungskräfte- und Teamtrainings immer wieder erstaunt und freudig überrascht, welche Aha-Effekte das Johari-Fenster bei den Teilnehmer*innen auslöst. Und das, obwohl das Modell der amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham, das u.a. den Nutzen und Wert von Feedback wunderbar verdeutlicht, bereits aus dem Jahre 1955 stammt.
Diese Aha-Effekte sind ein schönes Beispiel dafür, welche Fülle an hilfreichen Modellen und Methoden es bereits gibt und die z.T. in Vergessenheit geraten sind, weil immer neue Ideen, Modelle und Trends nachdrängen. Seien es z.B. Agilität, Mindful Leadership oder Empowerment.
Umso beruhigender zu sehen, dass sich die Themen, um die sich alte wie neue Ansätze und Modelle drehen, nicht groß verändert haben. Im Fokus stehen immer noch und immer wieder Lernen und persönliche Weiterentwicklung, Vertrauen, Feedback und Selbsterkenntnis. Und schlussendlich der Wunsch nach einem erfüllten Leben, in dem das eigene Handeln sowohl beruflich wie auch privat Wirkung zeigt und wir uns an unserer Kraft und Produktivität erfreuen können.
Doch was hat es jetzt mit dem Johari-Fenster auf sich?
Das Johari-Fenster ist eine Matrix bestehend aus vier Quadranten. Die x-Achse unterscheidet zwischen dem, was mir selber über mich bekannt ist (1) und dem, was mir über mir selber unbekannt ist (2). Auf der y-Achse wird unterschieden zwischen dem, was anderen Menschen über mich bekannt ist (3) und dem, was anderen Menschen über mich nicht bekannt ist (4).
Dementsprechend ergeben sich die folgenden vier Quadranten:
Quadrant bekannt (1) – bekannt (3): Öffentliche Person
Dieser Bereich – auch öffentliche Person genannt – umfasst den Teil von uns, den wir bereit sind anderen zu zeigen. Dabei handelt es sich um das, was andere von uns wahrnehmen lassen. Sprich Verhalten und Worte. Oder anders um bewusste verbale und non-verbale Kommunikation.
Quadrant bekannt (1) – unbekannt (4): Private Person bzw. mein Geheimnis
In diesem Quadranten hüten wir unsere Geheimnisse. Erlebnisse, Gedanken, Bedürfnisse und Gefühle, die wir für uns behalten wollen. Vielleicht weil wir der Meinung sind, dass diese Sachen, andere Menschen nichts angehen oder nicht interessieren werden. Vielleicht weil wir Sorge haben, durch diese Themen angreifbar zu sein oder verletzt zu werden. Oder einfach, weil wir ihnen keine Bedeutung zumessen.
Quadrant unbekannt (2) – bekannt (3): Blinder Fleck
Der blinde Fleck umfasst den Teil unseres Verhaltens oder unserer non-verbalen Kommunikation, dessen wir uns selber nicht bewusst sind, doch den andere Menschen durchaus wahrnehmen. Diese Gewohnheiten, Stärken, Schwächen und die sich darin widerspiegelnden Gedanken, Glaubenssätze, Bedürfnisse und Gefühle sind uns selber nicht bewusst.
Quadrant unbekannt (2) – unbekannt (4): Unbekannt (Terra Incognita)
Dieser Bereich ist sowohl uns selber als auch unseren Mitmenschen verborgen.
Ein Modell, das die Bereiche „für andere Menschen sichtbar“ und „für andere Menschen nicht sichtbar“ in ein sehr anschauliches Bild bringt, ist das Eisberg-Modell. So ist hier der Teil des Eisbergs, der sich über der Wasseroberfläche befindet, das was für andere Menschen von uns sichtbar ist.
Wie jeder spätestens seit der Titanic weiß, ist der sichtbare Teil des Eisberges der bei weitem kleinere Teil. Der Großteil des Eisbergs befindet sich unterhalb der Wasseroberfläche und ist somit ohne abzutauchen nicht sichtbar.
Unter Wasser befinden sich in diesem Bild die Teile von uns, die wir anderen Menschen bewusst nicht zeigen möchten, genauso wie unsere Werte und unsere Persönlichkeit. Unsere Werte werden häufig auch als innere Haltung, Einstellung oder Mindset zusammengefasst. Letzteres häufig anzutreffen in den Kontexten “Agiles Mindset” oder als “Growth Mindset” im Gegensatz zum “Fixed Mindset”.
Inwieweit uns unsere innere Haltung oder unsere Persönlichkeit bewusst sind, hängt stark davon ab, ob wir bemüht, interessiert und offen dafür sind, den uns unbekannten Bereich des Johari-Fensters zu verkleinern. Die eigene Bestrebung mehr über sich zu erfahren und damit die für einen unsichtbaren Bereiche zu verkleinern, ist ein starker Indikator für ein Growth Mindset.
Spätestens wenn es darum geht, sichtbare und unsichtbare Teile zu verändern, dann gerät das Eisberg-Modell als Bild zur Verdeutlichung an seine Grenzen. Denn während ich mir durchaus vorstellen kann, dass ein Fenster aus vier unterschiedlich großen Quadraten besteht, so fällt es mir doch schwer, mir unter Berücksichtigung der physikalischen Gesetzmäßigkeiten vorzustellen, wie ein bzgl. Volumen und Gewicht gleichbleibener Eisberg immer weiter aus dem Wasser aufsteigt (außer ich bringe eine Hebevorrichtung unter dem Eisberg an). Und sich damit der sichtbare über der Wasseroberfläche liegende Teil des Eisberg vergrößert.
Was Führungskräfte, Teams und jede*r Einzelne machen können, um die Quadranten des Johari-Fensters zu verändern, darum wird es im nächsten Blog-Beitrag gehen.
FORTSETZUNG FOLGT!